Gastbeitrag für VanLove Girls
Vollbepackt mit Kite-Material ging es für mich ein paar Monate lang quer durch Europa. Es hat sich gelohnt. In diesem Beitrag erfahrt ihr, wie das Kiten meine Lebens- und Reisegewohnheiten für immer verändert hat.
„Was für eine Session!“ Es folgt ein High Five und ein breites Grinsen im Gesicht. Ich lasse mich auf den Strand fallen. Neben mir liegt mein Kite, die Bar halb eingerollt. Warmer, weißer Sand bleibt an meinem Neo, an Händen und Füßen kleben. Ich streiche mir eine nasse Haarsträhne von der Stirn. Mit geschlossenen Augen spüre ich, wie das Salz auf meinem Körper trocknet. Spüre wie die Sonne mein Gesicht wärmt und meine Haut dankbar das Vitamin D aufsaugt. Spüre die angenehme Erschöpfung; wie jeder Zipfel meines Körpers in den letzten paar Stunden im Einsatz war. Und spüre auch – vielleicht gerade deswegen – ein Gefühl von Glück und Freiheit.
Kurze Zeit später wird die Sonne vom Meer verschluckt und bietet uns ein Naturschauspiel, an das keine Netflix Doku jemals herankommen wird. Der Himmel erglüht in einem rot- und gelb-leuchtenden Teint und streckt sich nach den letzten Strahlen der Sonne. Wir beobachten das Ende des Tages und sind zufrieden, weil wir die kostbaren Stunden draußen in der Natur verbracht haben.
„Wann hast du mit dem Kiten angefangen?“ „Vor zwei Jahren“, sage ich. „Das ist noch gar nicht so lange her.“ Pause. „Hat sich dein Leben seither verändert? Durchs Kiten meine ich.“ „Ja, sehr“, antworte ich und versuche in Worte zu fassen, was für einen immensen Einfluss das Kiten auf mich hat. Ich bin überrascht wie viele Gedanken, Momente und Gefühle in mir aufsteigen. „Ohne das Kiten würde ich jetzt niemals hier sitzen“, überlege ich.
1. Das Kiten ist mein Wegweiser
Es stimmt. Ohne das Kiten hätte ich vermutlich niemals die unzähligen französischen Étangs (Seen) mit Blick auf wunderschöne Berglandschaften gesehen, hätte mir nicht die Mühe gemacht den langen Weg runter an die südlichste Spitze Europas zu fahren – in die pulsierende spanische Stadt Tarifa – oder wäre nicht in einer portugiesischen Lagune gelandet, umgeben von weißen Sandstränden. Die Wahl der richtigen Reiseroute kann überfordernd sein, denn unser Planet hat so viele magische Orte zu bieten. Und bei den meisten von ihnen sind wir uns nicht einmal ihrer Existenz bewusst. Das Kiten gibt mir eine Richtung, der ich folgen kann. Der Wind entscheidet für mich, wo ich Halt mache. Ich lasse mich führen von den Kräften der Natur. So trug mich mein kleiner Van von einem Spot zum nächsten. Und keine Sorge: Davon gibt es auf der Welt genug. Ich habe immer einen Plan, ein Ziel, vor Augen. Und auch die Sicherheit gleichgesinnte Menschen zu treffen. Denn das macht Kiten erst richtig aus: Die Community.
2. Lerne inspirierende Menschen kennen
Was haben Schauspieler Brad Pitt, Victoria Secret-Model Edita Vilkeviciute und Prinz William gemeinsam? Richtig, sie alle sind begeistert vom Kiten. Aber der Sport zieht nicht nur schillernde Persönlichkeiten an: Menschen mit den unterschiedlichsten beruflichen Laufbahnen, Kulturen und Hintergründen finden ihren Weg in die Kite-Community. Da gibt es den Handwerker, der gleich um die Ecke wohnt, die Mutter, die kurz vorher noch ihr Kleinkind auf dem Arm hatte, die Studentin, die ein Auslandssemester ins Studium quetscht und den CEO, der sich entschlossen hat, kurzerhand seinen Job zu schmeißen und einfach mal die Welt zu erkunden.
Ein Paradies für Alleinreisende, die gerne von Leuten mit gleichen Interessen umgeben sind oder sich inspirieren lassen wollen: In der Kite Community wird es dir ein Leichtes sein mit diesen Menschen in Kontakt zu kommen. Auf dem Parkplatz oder am Spot – Gespräche ergeben sich fast von ganz allein. Das Kiten als Sport verbindet und ist der ideale Start für tolle Bekanntschaften und Freundschaften auf der ganzen Welt!
Was mich am meisten beeindruckt hat? Wie viele Möglichkeiten es gibt, das Leben zu leben und glücklich zu werden. Viele Gespräche haben mich inspiriert, mich über den Tellerrand schauen lassen und mich dazu gebracht, mein eigenes Leben genauer zu betrachten.
3. Spannender als ein Bauch-Beine-Po Workout von YouTube
Wenn ich lange im Auto sitze, bekomme ich früher oder später den Drang mich mal wieder richtig zu auszupowern. YouTube Workouts habe ich während der Lock-Down-Zeit versucht, aber ich bin ganz ehrlich: Nach wenigen Malen kann ich mich einfach nicht mehr motivieren.
Kiten hingegen ist für mich das schönste Workout beim Reisen. Der Sport selbst macht Spaß und ich bin so hochkonzentriert, dass ich währenddessen kaum merke, wie meine Muskeln arbeiten. Erst wenn ich nach der Session erschöpft ins Bett falle und am nächsten Morgen mit Bauchmuskelkater aufwache, merke ich das Kiten eben doch ein Sport ist.
Aber keine Sorge: Du kannst selbst entscheiden, wie intensiv dein Workout sein soll. Es ist wichtig zu verstehen, dass du nicht viel Kraft und Muskelmasse brauchst, um den Kite zu halten. Das Trapez verteilt die Zugkraft auf viele Teile deines Körpers. Ein tolles Ganz-Köper-Workout bekommst du dann z.B., wenn du lange auf dem Wasser bist oder viele Sprünge machst. Aber es ist nicht nur dein Körper, dem du etwas Gutes tun.
4. Raus aus der Comfort Zone
Im Alltag bleiben wir gerne uns in unserer persönliche Comfort Zone. Wir stellen uns nicht jeden Tag neuen Herausforderungen. Das Reisen legt uns beinahe jeden Tag unbekannte Situationen vor die Füße. Aber auch dort ertappe ich mich das eine oder andere Mal dabei, in Routinen zu rutschen.
Nicht so beim Kiten: Wind und Wasser stellen sich immer wieder als großartige Lehrer heraus, die mir viel über mich selbst beibringen und mich herausfordern. An jedem neuen Spot muss ich mich orientieren, die Bedingungen und Eigenheiten kennenlernen, den Wind richtig einschätzen und gleichzeitig auf mich selbst und andere Kiter*innen achten. Ich lerne auf mein Bauchgefühl zu hören und mir selbst zu vertrauen. In einer brenzligen Situation richtig zu reagieren oder zum ersten Mal einen neuen Trick zu landen, ist ein berauschendes Gefühl.
Wind und Wasser sind jedoch auch Lehrer, die mich mit in ihre Welt nehmen. Ich lerne nicht nur mich selbst kennen, sondern auch unseren Planeten. Anders gesagt: Ich komme nicht nur aus der Comfort Zone, die ich um mich als Person gestülpt habe, sondern um die ganze Erde. Von unseren eigenen vier Wänden umgeben, vergessen wir manchmal, dass es auch noch eine Welt da draußen gibt. Vergessen, wie belebend das Gefühl der Freiheit in der Natur ist. Vergessen jedoch auch, welche Schäden die Menschheit der Natur zufügt. Erst wenn wir mit der Natur interagieren und ihr nahe sind, fällt uns auf, wie wichtig es ist, sie einerseits zu genießen aber sich gleichzeitig auch um sie zu kümmern.
Beim Kiten fühle ich mich von Wind und Wellen umarmt. Spüre die Kräfte der Natur auf der eigenen Haut. Bin dankbar, dass ich sie nutzen darf. Umso stärker wird das Bedürfnis zu helfen, wenn ich mit meinem Board an Plastikflaschen vorbeifahre, die im Meer treiben, oder meinen Kite direkt neben verrosteten Dosen am Strand aufbaue. Ich merke: Es macht zufrieden nachhaltiger zu reisen.
Mit diesen Gedanken seid ihr in der Kite- und Surf-Community nicht allein. Mittlerweile wurden zahlreiche Initiativen ins Leben gerufen, die sich damit auseinandersetzen, wie wir unserem Planeten helfen können.
Als ich so dasaß am Strand, lautete meine Antwort also: „Ja, das Kiten hat mein Leben und meine Art zu Reisen auf eine so positive, kraftvolle und aufregende Weise verändert. Obwohl ich allein reise, bin ich nie allein, sondern habe immer eine inspirierende, hilfsbereite Community an Board. Durch das Kiten lerne auf mein Bauchgefühl zu hören und mir Neues zuzutrauen. Gleichzeitig nehme ich meine Umgebung und die Natur auf eine ganz neue Art wahr und lerne sie zu schätzen.“
Mein Gegenüber nickt. Die Nacht hat das letzte Tageslicht verschluckt. Wir blicken hinauf in den Sternenhimmel und denken an den kommenden Tag. Ich hoffe, er bringt uns Wind.
– Lotta Lilena